23. August 2022 | Laura Singh
Die Sorgen der Menschen aufgrund steigender Preise sind derzeit allgegenwärtig: die Pandemie ist lange noch nicht vorbei, der Krieg in der Ukraine sowie daraus resultierende Lieferengpässe und die Inflation tragen zu einer anhaltenden Unsicherheit bei. Vor allem bei FMCG-Produkten spüren wir Preiserhöhungen bereits deutlich. Unsere Branchenexpertinnen in den Bereichen Food & Retail (Stefanie Gröbe & Rebecca Stark de Pellecer) sowie Home & Beauty (Maria Wronka & Tina Choi-Odenwald) kennen die aktuellen Befindlichkeiten von FMCG-Konsument:innen. Wir haben sie nach ihren Einschätzungen und Insights gefragt. Den zweiten Teil des spannenden Interviews findet ihr übrigens hier.
GIM Radar: Die Auswirkungen der Inflation werden vor allem bezüglich Haushaltsbudgets und der besonderen Belastung einkommensschwacher Menschen diskutiert. Abgesehen vom finanziellen Aspekt: Wie sieht es auf der Gefühlsebene aus?
Tina: Die Menschen sind natürlich verunsichert und haben Ängste, gerade auch was die Zukunft angeht. Niemand kann vorhersagen, wie sich die politische und wirtschaftliche Lage entwickeln und welche Implikationen dies für uns haben wird. Konsument:innen befürchten einerseits, ihren Lebensstandard nicht mehr halten zu können, andererseits auch eine massive ökonomische Schwächung aufgrund einer möglichen Wirtschaftskrise.
Und das führt zu …?
Tina: Naja, verständlicherweise zuallererst dazu, dass die Menschen erheblich preissensibler sind als sonst. Die Folge: striktere Budgetierungen! Je niedriger das Haushaltsbudget, desto gravierender sind natürlich die Einschnitte.
Rebecca: Auch wenn die Inflation für alle spürbar ist, leiden nicht alle gleichermaßen. Manche müssen sparen, damit das Geld für das Lebensnotwendige reicht, andere wollen bewusst sparen, um sich durch sorgfältige Finanzplanung auch noch die angenehmen Dinge des Lebens leisten zu können: für gelegentliche Freizeitaktivitäten oder die Kinder soll noch Geld verfügbar sein. Und dann gibt es selbstverständlich auch Gruppen mit hohen Haushaltseinkommen, die der Entwicklung trotz allem relativ entspannt entgegensehen.
Es herrschen also Zukunftsängste, aber die Menschen stellen sich um…
Steffi: Ja, wir nehmen jedoch neben Ängsten noch etwas anderes wahr: Nicht alle FMCG Preiserhöhungen sind nachvollziehbar – einige werden gar als überzogen und willkürlich erlebt. Anders als bei Weizen und Sonnenblumenöl können aktuell viele Konsument:innen bei verschiedenen Produkten keinen direkten Zusammenhang zwischen den aktuellen Geschehnissen und den massiven Preiserhöhungen herstellen. Und das führt dann eben nicht „nur“ zu Unverständnis, sondern auch zu wütenden Trotzhaltungen im Sinne von: „Das sehe ich nicht ein“.
Maria: Die Motivation zum Sparen begründet sich übrigens nicht allein auf rein rationaler Ebene, sie wird vor allem emotional gesteuert: Wenn Angst und Unsicherheit dominieren, gibt einem der Griff zur preiswerteren Eigenmarke ein Stück Handlungsmacht zurück. Konsument:innen sind äußerst kreativ darin, immer neue Einsparpotentiale zu finden. Diese Eigeninitiative kann nicht nur diffuse Bedrohungsgefühle abmildern, sondern ist auch eine positive Selbstbestätigung: man fühlt sich vielleicht als findiger, kühl kalkulierender Kopf.
Shoppen oder Sparen? FMCG Preiserhöhungen verändern unser Konsumverhalten (Bild: istock.com/deberarr)
Lasst uns mal die FMCG-Sparten etwas genauer ansehen. Welche Unterschiede seht ihr zwischen Food und Non-Food Bereichen hinsichtlich der Inflation?
Rebecca: Die Preise in der Food Branche haben zum Teil bereits massiv angezogen, bei Beauty & Homecare dürfte das noch anstehen. Abgesehen davon werden Preissteigerungen natürlich insbesondere bei Lebensmitteln spürbar: weil wir diese regelmäßig einkaufen, haben wir ein besseres Preisgedächtnis – sowohl für einzelne Waren als auch für gesamte Warenkörbe. Unsere Lebensmittel-Warenkörbe sind dabei relativ konstant: Wir brauchen regelmäßig und stets Nachschub an Butter, Milch und Brot. Das sieht bei Drogerieprodukten anders aus.
Maria: Der Beauty und Home-Care Bereich bietet mehr Möglichkeiten, das individuelle Budget neu zu justieren. Hier können Konsument:innen nicht nur leichter zu Handelsmarken wechseln, sie haben auch mehr Bewegungsspielraum innerhalb der Segmente: wer sich das hochpreisige Naturkosmetik-Duschgel nicht mehr leisten möchte, findet viele deutlich günstigere Alternativen von vergleichbarer Wertigkeit.
Das heißt: Sorgenfalten bei Premium Brands in diesem Bereich?
Maria: Nicht zwangsläufig. Premium-Marken stehen nicht per se schlechte Zeiten bevor. Insbesondere Beauty Care Käufe speisen sich ja weniger aus rationaler Notwendigkeit als vielmehr aus emotionalen Bedürfnissen: sich etwas zu gönnen, sich zu verwöhnen oder zu belohnen – dieser kleine Luxus im Alltag wird gerade dann wichtig bleiben, wenn große Anschaffungen wie die Couch-Garnitur oder Urlaub vielleicht erstmal nicht realisiert werden können.
Beauty Care Produkte sind „der kleine Luxus im Alltag“ – sie könnten an Bedeutung gewinnen, wenn am „größeren Luxus“ gespart werden muss (Bild: istock.com/zoranm)
Steffi: Preiserhöhungen in der Lebensmittelbranche sind in zweierlei Hinsicht psychologisch problematisch: Konsument:innen registrieren sie leichter und sie werden schneller als existenzbedrohend erlebt. Das dann schon in einem allgemeinen Krisengefühl kumulieren.
Die Pandemie und der Lockdown haben ja zu teils merkwürdigem Kaufverhalten geführt: Wir erinnern uns alle an das Phänomen des Klopapier-Hamsterns. Welche konkreten Verhaltensänderungen erwartet Ihr in „Euren“ Branchen?
Rebecca: Bekanntermaßen ist die wachsende Popularität von Discountern und der Wechsel zu Eigenmarken eine gängige Strategie. Wir registrieren jedoch auch Änderungen innerhalb der Produktbereiche: Insbesondere Segmente, die als gesundheitlich oder ethisch fragwürdig gelten, stehen auf dem Prüfstand. So haben beispielsweise auch Konsument:innen unserer Online-Community GIM Mitmaker angegeben, weniger Fleisch zu essen. Eine vegetarische Lebensweise aufgrund verteuerter Steaks oder Wurst wird nun jedoch nicht als Verzicht, sondern als gesundheitlicher und moralischer Gewinn verbucht.
Steffi: Ähnlich verhält es sich bei Genussmitteln, Süßwaren und Snacks. Auf erstere wird dabei auch mal verzichtet, die Notwendigkeit von Snacks, Süßwaren und Fertigprodukten – also oft spontane und lustgetriebene Einkäufe- wird nun zusätzlich hinterfragt. Wenn diese Produkte im Einkaufskorb fehlen, schont das nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die Gesundheit.
Den zweiten Teil des Interviews mit unseren FMCG Expert:innen könnt Ihr ab heute hier auf GIM Radar nachlesen. Darin sprechen die vier Expertinnen über die Möglichkeiten für Hersteller und wie der Megatrend Nachhaltigkeit unser Konsumverhalten im FMCG Bereich verändert.
Home & Beauty Expertinnen
Food & Retail Expertinnen
Tina Choi-Odenwald
Research Director
t.choi-odenwald@g-i-m.com
Rebecca Stark de Pellecer
Research Director
r.starkdepellecer@g-i-m.com
Maria Wronka
Research Director
m.wronka@g-i-m.com
Stefanie Gröbe
Senior Research Manager
s.groebe@g-i-m.com
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