02. Oktober 2020 | Fabian Oppel
enn Unternehmen und Verbraucherschutz im Clinch liegen, dann vermutet man in der Regel, die Unternehmen wollten den Konsumenten etwas Schlechtes. In dem Fall, über den wir euch heute berichten, ist die Sache genau umgekehrt.
Der Hamburger Limo-Hersteller Lemonaid trägt aktuell eine Fehde gegen den Verbraucherschutz aus, denn nach 2019 hat schon wieder eine Behörde das Unternehmen abgemahnt (Link). Im September stellte diesmal das Amt für Verbraucherschutz der Stadt Bonn fest: Die Limonade von Lemonaid hat offiziell zu wenig Zucker! Der selbsternannte „Saftladen“ reagierte smart und sehr kreativ mit einer öffentlichkeitswirksamen Guerilla-Aktion.
7 Prozent müssen es sein!
Die Regelungen im deutschen Lebensmittelbuch sind eindeutig: Was „Limonade“ heißt, muss mindestens 7 Prozent seines Gewichts aus Zucker bestreiten. Das beanstandete Produkt, „Lemonaid Maracuja“, beinhaltet dagegen nur 5,5 Gramm Zucker auf 100ml – und darf folglich, um den Verbraucher nicht hinters Licht zu führen, auch nicht Limonade heißen. Lemonaid müsse bei Zuwiderhandlung mit weiteren behördlichen Maßnahmen rechnen, wie es im Schreiben des Bonner Verbraucherschutzamtes heißt. Im Klartext: Mehr Zucker ins Getränk oder die Marke muss auf ihren Markenkern verzichten.
Die Politik tut: nichts?
Nach der ersten Posse (Link) um den zu geringen Zuckergehalt 2019 mit dem Hamburger Fachamt Verbraucherschutz setzte sich die damalige Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks für den ansässigen Limo-Hersteller ein (Link) und stellte fest: „Die Leitsätze für Erfrischungsgetränke sind in manchen Bereichen nicht nachvollziehbar und konterkarieren unsere Strategie zur Zuckervermeidung sowie zur gesundheitsbewussten Ernährung.“ Eine weitere Beanstandung der Hamburger Behörde wurde daher ausgesetzt.
Die Kommission, die das deutsche Lebensmittelbuch verantwortet, untersteht Bundesernährungsministerin Julia Klöckner, die wiederum kurz zuvor eine „Nationale Strategie zur Reduktion von Zucker und Fett in Lebensmitteln“ vorgestellt hatte – darin enthalten: Freiwillige Maßnahmen zur Reduktion von Zucker. Die Aufforderung der Verbraucherschutzämter, mehr Zucker in Limonade zu mischen, steht damit also der Initiative Klöckners diametral entgegen.
Prüfer-Storcks hatte sich deshalb bei Klöckner für eine „Überprüfung auf Sinnhaftigkeit“ der Lebensmittel-Leitsätze starkgemacht – wie durch die nun zweite Abmahnung durch das Amt für Verbraucherschutz der Stadt Bonn offensichtlich wird, allerdings ohne Erfolg.
Guerilla-Aktion mit Ergebnis
Auf den zweiten Amtsbrief platzte den Brauseproduzenten nun der Kronkorken. Mit dem Slogan „Amtlich unterzuckert“ starteten Sie eine Guerilla-Aktion, Frau Klöckner bekam ihr eigenes „Denk Mal“ vor das Ernährungsministerium gestellt. Und zwar aus Zucker! Das Medienecho gestaltete sich diesmal auch in etwa genauso groß wie schon beim ersten Streit mit der Hamburger Behörde.
Und tatsächlich: Noch am selben Tag verlautete das Ministerium, dass es an die Lebensmittelkommission die Erwartung setzt, die entsprechenden Leitsätze zu prüfen.
Lemonaid verbucht das als „klaren Erfolg“, jedoch stellen die Hamburger auch klar: Rechtssicherheit gibt es damit noch nicht (Link). Sie fordern weiter, „dass diese wahnwitzige Zucker-Untergrenze jetzt endlich konkret gestrichen wird!“
Es stellt sich an diesem Beispiel nun die Frage, wen der Verbraucherschutz eigentlich vor was schützen soll. Der Bundesverband der deutschen Süßwarenindustrie hat auch reagiert (Link) und begrüßte, dass sich die Bundesregierung für eine Verbesserung der Ernährungskompetenz und einen gesundheitsförderlichen Lebensstil einsetzt. Gleichzeitig warnte er aber vor „bevormundende[n] Eingriffe[n] des Staates in die Süßwaren-Rezepturen“.
Lemonaid zeigt in jedem Fall, dass Unternehmertum positiven Einfluss auf die Gesellschaft nehmen kann. Um also abschließend eine wirklich abgedroschene Phrase zu bemühen: Wie es im Moment aussieht, macht Lemonaid gerade aus den Zitronen, die ihnen das Leben gegeben hat, Limonade.
Headerbild: Lemonaid